Olivier de Berranger

Macroscope: Finanzmarkt Frankreich in unsicheren Fahrwassern

Seit der Ankündigung der Auflösung der Nationalversammlung am 9. Juni ist der französische Markt deutlich hinter seine europäischen Pendants zurückgefallen. Vom 10. bis einschließlich 13. Juni sank der CAC 40 um 3,6 %, während der Stoxx Europe 600 um 1,4 % nachgab. Im Anleihebereich erhöhte sich der Renditeabstand zwischen zehnjährigen französischen und deutschen Staatsanleihen um knapp 50 %, von rund 50 auf 75 Basispunkte (Bp.). Er liegt damit in etwa auf dem Niveau von 2017, das unter anderem bereits die Verunsicherung in Bezug auf die französischen Präsidentschaftswahlen widerspiegelte. Sollten die Renditen der beiden Länder noch weiter auseinanderdriften, entspräche die Differenz bald dem Niveau, das während der Eurokrise in den Jahren 2011 und 2012 erreicht wurde. Damals befürchtete man ein Auseinanderbrechen der Eurozone. Damals war Griechenland zahlungsunfähig und der Front National (heute: Rassemblement National) forderte den Austritt Frankreichs aus der Eurozone.

Wird sich Frankreich in finanzieller Hinsicht noch weiter von seinen europäischen Nachbarn entfernen? Das lässt sich nicht vorhersagen. Dafür gibt es zu viele mögliche politische Szenarien und zu viele unkontrollierbare kurzfristige Überraschungen an den Börsen.

 

Droht Frankeich ähnliche Entwicklung wie Italien?

Auch wenn jede Situation einzigartig ist, lassen sich einige Rückschlüsse aus der Vergangenheit ziehen. Die Entwicklungen in Italien im Jahr 2018 geben einen Hinweis darauf, was im Falle einer Protestkoalition in der französischen Nationalversammlung geschehen könnte. Nach den Wahlen im März hatte es dort keine Koalition mit einer absoluten Mehrheit gegeben. Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), eine Protestpartei mit sozialen und souveränistischen Forderungen, die sich keinem politischen Lager zuordnen lässt, hatte sich mit 32 % der Stimmen durchgesetzt. Die als rechtsextrem geltende Lega hatte 17 % der Stimmen erhalten. Nach wochenlangen Verhandlungen bildeten die beiden Parteien eine Koalition, und Giuseppe Conte wurde zum Ministerpräsidenten ernannt. In ihrer Wirtschaftspolitik war die neue Regierung sehr ausgabefreudig: Für Geringverdiener wurde ein „Bürgereinkommen“ eingeführt, gleichzeitig wurden die Steuern gesenkt. Die Koalition hielt bis August 2019 – dann verließ Lega-Chef Matteo Salvini sie und zwang die Regierung Conte zum Rücktritt.

Die Reaktion an den Märkten war eindeutig: Nach der Ankündigung der Koalition verlor der italienische Index innerhalb von sechs Monaten bis zu 10 % gegenüber dem europäischen Stoxx 600; der Abstand zwischen den Renditen zehnjähriger italienischer und deutscher Staatsanleihen weitete sich um rund 200 Bp. aus und erreichte damit wieder das Niveau von 2013.

Die anschließende Entwicklung ist noch lehrreicher. Ab Dezember 2018 schlossen italienische Aktien innerhalb eines Jahres zu den europäischen Indizes auf. Sie konnten den Rückstand aufholen, bis die Lockdowns Anfang 2020 erneut zu einer Krise führten. Der Druck auf italienische Staatsanleihen hielt länger an. Solange die Koalition aus M5S und Lega an der Macht war, verharrte die Renditedifferenz zwischen Italien und Deutschland auf einem hohen Niveau. Die ohnehin bereits hohen Refinanzierungskosten Italiens stiegen weiter. Nachdem die Lega die Koalition verlassen hatte, normalisierte sich der Renditeabstand unmittelbar.

 

Angst vor Verschuldung hält französischen Markt volatil

Diese Erfahrungen sind zwar nicht ohne Weiteres auf die Situation in Frankreich übertragbar, aber dennoch aufschlussreich. Denn die Marktturbulenzen haben die gleiche Ursache: das Risiko einer übermäßigen Verschuldung. Dieses Beispiel legt nahe, dass französische Aktien im Falle einer von Protestparteien dominierten Nationalversammlung noch einige Zeit abgestraft werden könnten. Dies gilt insbesondere für die Papiere von Unternehmen, deren Erträge stark von staatlichen Maßnahmen abhängig sind. Die Lage könnte sich allerdings nach und nach normalisieren, sofern die Geschäftstätigkeit der Unternehmen nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Die Auswirkungen auf die Verschuldung Frankreichs und seine zukünftige Verschuldungskapazität könnten hingegen länger und stärker spürbar sein. Zumindest so lange, wie die dominierenden politischen Kräfte zu schuldenfinanzierten Ausgaben neigen.

Der Markt kann damit leben, dass die „Politik nicht an der Börse gemacht wird“, wie Charles de Gaulle es ausdrückte. Der Fall in Italien zeigt jedoch, dass die Politik eines hoch verschuldeten Staates unweigerlich vom Markt abhängig ist, und zwar in zunehmendem Maße. Dies zu ignorieren, führt langfristig nur zu einer noch größeren Abhängigkeit.